Kapitel 3 Der magische Zug

Engel fliegen einsam,
Du und ich gemeinsam,
Engel fliegen einsam,
Niemals mehr allein sein.

Christina Stürmer – Engel fliegen einsam

Die letzte Nacht in meinem eigenen Bett schlief ich wie ein Murmeltier. Mein Koffer war schon längst gepackt. Alles konnte ich nicht mitnehmen, aber den Groß-teil meiner Kleidung und ein paar meiner Lieblingssachen, sowie Fotos von meinen Eltern und mir. Ich würde meine Eltern wohl erst in ein paar Jahren wieder sehen. Nur die Erwählten durften die Menschenwelt betreten und wir selbst durften erst nach unserer Ausbildung wieder nach Hause und manchmal auch in den Ferien, aber auch nur unter bestimmten Voraussetzungen und ich wusste noch nicht welche das waren.
Der Morgen brach ruhig an und ich stand früh auf, damit ich noch mal mit meinen Eltern frühstücken konnte. Luciana und Jonael waren stille Feen, die gerne Musik hörten. Meine Mutter sang sogar selbst und sie hatte die sanfteste und schönste Stimme auf der Welt. Meine El-tern waren beide blond und hatten beide blaue Augen. Nur dass die Augen meiner Mutter Lapislazuliblau waren, also dieses kräftige dunkelblau und manchmal wirkten sie wie schimmernde Kristalle. Bei meinem Vater war es einfach das typische AugenfarbenBlau.
Das Gesicht meiner Mutter war zart und zierlich wäh-rend das meines Vaters nur beinahe hübsch war. Um wirklich schön zu sein war die Haut etwas zu rau und etwas zu markant. Doch ich liebte sein Gesicht. Er war groß und gut gebaut mit breiten Schultern. Sie einen gan-zen Kopf kleiner als er und insgesamt recht zierlich. Beide trugen schlichte Kleidung meist in den Farben blau, grau oder weiß. Manchmal auch schwarz. Heute war es bei Luciana ein weites weißes Kleid. Es war oben mehr so ein T-Shirt-Kleid mit langen Ärmeln und ohne Ausschnitt. Unten fiel der Rock etwas weiter. Er trug einen blauen schlichten Rollkragenpullover und eine blaue Baumwollhose.
Eigentlich war ich total anders als die Zwei und woher ich meine roten Haare hatte, wusste ich auch nicht. Es konnte mir keiner sagen. Ich hatte nur die Mutter meines Vaters (Annbelle) gekannt und sie stand mir sehr nahe, aber rote Haare hatte sie nicht. Letzten Sommer ist sie von uns gegangen.
Ich war eher geselliger als sie und redete viel mehr. Mit meinem Vater saß ich abends oft noch draußen und wir unterhielten uns.
Als ich runter kam, saßen meine Eltern bereits am Tisch und ich hörte im Hintergrund leise Musik. Ich setzte mich zu ihnen. Unser Tisch war weiß und stand in einer weißen Küche, doch er war heute reicher bedeckt als sonst. Demnach war heute wohl in meiner Familie ein besonderer Tag.
Ich goss mir Saft ein und bestrich Brot mit Käse. Meistens aßen wir schweigend. Wir redeten schon miteinander, aber nur an bestimmten Orten im Haus. Zum Beispiel in unseren Zimmern, aber normalerweise nicht in der Küche. Beim Essen lauschten wir der Musik. Heute schien allerdings eine Ausnahme zu sein.
„Wie fühlst du dich, Mie? Bist du bereit?“, eröffnete mein Vater das Gespräch. Ihn mochte ich etwas lieber als meine Mutter. Er war weniger distanziert. Mit meiner Mutter war ich irgendwie nie richtig warm geworden, aber trotzdem bedeutete sie mir viel. Sie war mir teilweise zu streng. Mein Vater brach auch mal die Regeln des Hauses. Die hatte meine Mutter aufgestellt.
„Ich weiß nicht“, seufzte ich. „Ich wäre so gerne hier geblieben. Ich weiß immer noch nicht, warum ausgerechnet ich ausgewählt wurde.“
„Ich weiß nicht viel von der Welt da draußen“, gab mein Vater zu. „Aber ich hab gehört, dass jeder aus einem bestimmten Grund ausgesucht wurde. Du auch!“
Stirnrunzelnd sah ich meinen Vater an. Bildete ich es mir ein oder wusste er mehr darüber als er zugab? Ich hätte ihn so gern danach gefragt, aber ich traute mich nicht. Ich wusste selbst nicht wieso. Ich hatte einfach das Gefühl, ich würde keine Antwort von ihm erhalten. Vielleicht durfte er auch nichts sagen. Was immer er wusste.
„Hast du denn gestern schon jemanden kennengelernt?“, fragte meine Mutter jetzt hoffnungsvoll.
„Nur Sophann“, antwortete ich ihr. „Aber sie scheint nett zu sein.“
„Na das ist doch schon mal etwas.“ Meine Mutter wirkte zufrieden.
„Ja.“ Den Rest des Frühstücks verbrachten wir wie gewohnt schweigend. Wir waren nicht so gut im Miteinander reden.
Viel zu früh kam der Zeitpunkt, an dem ich mich von meiner Mutter verabschieden musste. Sie würde nicht zum Bahnhof mitkommen. Mein Vater räumte schon mal mein Gepäck in den Wagen.
„Pass auf dich auf, Liebes“, bat sie mich. „Bestimmt ist es da draußen gar nicht so schlimm wie du jetzt denkst. Du wirst Freunde finden und die Chance auf ein neues Leben haben. Und was immer du hören wirst, ich hoffe du weißt, dass wir dich lieben.“
Ein zweites Mal an diesem Morgen runzelte ich die Stirn. Was meinte sie mit dieser letzten Andeutung?
„Das weiß ich doch“, versicherte ich ihr. „Ich liebe euch auch.“
Dann umarmten wir uns ganz fest und dann ließ ich sie allein zurück. Ich sah mich nicht noch mal zu ihr um. Abschiede waren noch nie mein Ding gewesen.

Als wir beim Bahnhof von Raubit ankamen, parkte mein Vater das Auto auf den vollen Parkplatz in die allerletzte Lücke. Wir waren spät dran. Er räumte das Ge-päck wieder aus dem Auto und reichte es mir.
„Du wirst mir schrecklich fehlen, meine Kleine“, sagte er und umarmte mich fest.
„Ihr mir auch, aber ich werde euch so oft es geht schreiben“, versprach ich.
Mein Vater sah mich mit einem Blick an, den ich nicht deuten konnte. Vermutlich glaubte er mir nicht. Ich hatte keine Ahnung wieso. Er sagte nur: „Hoffentlich.“
„Auf jeden Fall“, beteuerte ich und ging dann in Rich-tung Zug. Er kam nur einmal im Jahr, wenn die Erwählten abgeholt wurden.
Auch die Autos benutzten wir selten, eigentlich fast nie. Flugzeuge gab es bei uns auch nicht und so war es verkehrsmäßig ziemlich ruhig bei uns. Nur hin und wieder flogen Hexen am Himmel.
Der Zug würde noch weitere Erwählte in fünf weite-ren Städten abholen. In jeder Stadt gab es eine Schule und Raubit war die Hauptstadt. Aus den anderen Städten (Zaall, Tindemu, Landford, Bibasty und Simheg) würden auch jeweils acht Erwählte mitkommen, aber die Auswahl war meist kleiner. Jede Stadt hatte im Zug ihren eigenen Wagon.
Der magische Zug war kein gewöhnlicher Zug, natür-lich nicht. Er war überzogen mit feinem Feenstaub, der wie viele kleine Sterne aussah. Die Wagons waren so groß, dass jeweils acht Betten reinpassten. Insgesamt hatte er die Länge von zwei Regionalzügen in der menschlichen Welt.
Er konnte nicht nur auf Schienen fahren, sondern ein-fach überall und auch fliegen und sich unsichtbar machen. Wenn der Zug irgendwo hielt kamen oft viele Schaulustige um, den Zug wenigstens einmal in ihrem Leben zu sehen. Manchmal auch von weit her aus den Dörfern. Diese Feen hatten einfach nicht die Mittel jedes Jahr nach Raubit zu fahren. Nicht jede Fee war reich und zu Fuß gingen die Wenigsten gerne und auch reiten war den Meisten zu mühselig.
Ich kämpfte mich durch die Menge und stand schließlich direkt vor dem Zug. Ein wenig weiter in der entdeck-te ich Leinar. Obwohl so viele Leute um ihn rum standen, wirkte er irgendwie allein und verloren. Niemand sollte so in einer Menge wirken.
Plötzlich kam Sophann aus der Masse und auf mich zu. Sie trug nur einen Rucksack bei sich und ich hatte schon gedacht, ich hätte wenig Gepäck dabei mit meiner riesigen Reisetasche.
„Hey, du bist ja schon da!“, rief Sophann erfreut.
„Schon?“, fragte ich sie verwirrt. „Ich dachte ich sei spät dran.“
„Ach nein“, winkte sie ab. „Der Zug fährt doch erst in fünfzehn Minuten ab. Wir sollten gleich schon mal ein-steigen“, erklärte Sophann mir.
„Ok.“ Wenn das so war… Fünf Minuten später durften wir dann wirklich rein. Sophann und ich gingen zuerst und die anderen folgten uns. Wir hatten den Wagon ziemlich in der Mitte mit dem „R“ für Raubit drauf.
Zunächst wirkte alles wie in einem normalen Zug, aber sobald wir die Tür zu unserem Wagon aufstießen, staun-ten wir nicht schlecht. Das Innere war eingerichtet wie ein Wohnzimmer. Der Raum war riesig und ich fragte mich, wo der ganze Platz herkam. Von außen hatte es so unscheinbar gewirkt.
Acht Sofas passten in den Raum, ein Tisch, ein Kamin und ein Fernseher. Jedes Sofa war mit Namen versehen. Mich hatte man zwischen Sophann und Leinar einquar-tiert. Dass ich die ganze Fahrt über neben Leinar sitzen sollte, machte mich nervös. Man hatte uns erzählt, wir würden insgesamt drei Tage fahren. Unseren Wagon würden wir kaum verlassen, denn selbst die Toiletten grenzten daran. Nun denn, das könnte interessant werden. Ich war gespannt, wie sie uns nachts Betten herbei zaubern wollten, oder sollten wir etwa auf dem Sofa schlafen?

Ich freu mich über jeden Zauberkommentar von euch.

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