Die Zwerge von einst hatten mächtige Magie,
Während der Hammer wie Glockengeläut fiel
In Orten tief, wo dunkle Dinge schlafen ein,
In hohlen Hallen unter dem Gestein.
Misty Mountains –
Soundtrack aus „Der Hobbit“
Am nächsten Morgen wachte ich erholt auf. Es fühlte sich nicht an, als wäre ich die ganze Nacht auf gewesen und das war ich ja auch nicht wirklich. Ich überlegte wem ich außer Leinar und meinen Eltern von meinem Traum erzählen wollte. Feena sollte es auch wissen, aber Fiann Nike und ihre Söhne und Lilien und Corentin nicht unbedingt. Also ging ich mit den Ausgewählten in eine ruhige Ecke, wo wir ungestört reden konnten. Dann erzählte ich ihnen von meinem Traum.
Feena sah mich nachdenklich an. „Ich bin nicht sicher, ob das funktionieren wird. Miron mag nur wegen Tedren da sein, aber er steht wohl kaum auf unserer Seite.“
„Ich glaube schon“, wiedersprach ich ihr mit voller Überzeugung. „Tiljan mag keinen Kontakt mehr zu seinem Sohn gehabt haben, aber er ist immer noch Corlas Schwiegervater. Wenn er Cam angreift, greift er auch Tiljan an, und ich bin nicht sicher, ob das seine Absicht ist.“
„Ich bin Thies einmal begegnet“, mischte sich nun Linnie überraschend in unser Gespräch ein. „Es ist lange her, aber eigentlich schien er ganz nett zu sein. Ich verstehe gar nicht, wieso er sich von Tiljan abgewandt hat.“
„Dann muss es mit der Ehe zu Corla zu tun haben. Vielleicht gefiel das Tiljan nicht oder er hat sich nicht so gut mit ihr verstanden oder beides“, überlegte Lunar nun.
Ich sagte dazu nichts. Ich selbst glaubte eher, dass Tiljan sein Bestes getan hatte um das gute Verhältnis zu wahren, aber Thies es letztendlich nicht wollte oder Corla ihn unter Druck gesetzt hatte.
„Ich finde, wir müssen es wenigstens versuchen. Wenn wir Miron auf unserer Seite hätten, hätten Tedren und Felicitas kaum noch eine Chance“, argumentierte ich.
„Und wie wollen wir ihm eine Nachricht bringen?“, fragte ausgerechnet Leinar mich.
„Durch dich“, antwortete ich ihm und sah ihn fragend an. Was würde er wohl zu meinem Vorschlag sagen?
„Durch mich? Wie?“ Er wirkte verunsichert und irgendwie unruhig.
„Na, du hast gewisse Fähigkeiten, die sehr praktisch dafür sind.“
So langsam verstand er, worauf ich hinaus wollte. „Ach so, na gut.“ Er wirkte allerdings nicht sehr überzeugt. Trotzdem erklärte er sich bereit mitzumachen.
Ich schrieb den Zettel mit der Nachricht für Miron und reichte ihn Leinar. Wir wollten nicht lange warten. Miron meldete sich tat-sächlich bei uns und schlug vor, mich außer-halb der Grenze zu treffen. Ich willigte ein, aber Leinar würde mich in Form des Glühwürmchens, in dem er auch die Nachricht überbracht hatte, bei mir bleiben. Er würde zwar in einiger Entfernung bleiben, damit es nicht so auffiel, aber er konnte uns beobach-ten. Selbst als Glühwürmchen würde Leinar auffallen, denn um den See gab es keinerlei Tiere. Nicht mal fliegende Kleintiere, wie Fliegen oder so was, geschweige denn Glüh-würmchen. Den anderen hatte es gar nicht gefallen mich dort allein hingehen zu lassen. Auch Leinar gefiel das nicht, aber er konnte wenigstens bei mir bleiben. Nur dank Feena konnte ich überhaupt gehen. Sie hatte den anderen versichert, dass ich Miron mit meiner Magie zumindest ebenbürtig war, wobei ich mir da selbst überhaupt nicht so sicher war.
Ich war froh, dass Leinar mich als Glüh-würmchen begleiten konnte und dass Miron davon nichts wusste.
Miron und ich gingen gleichzeitig aufeinander zu. Als er mir gegenüber stand, wirkte er ziemlich groß für einen Zwerg. Er ging mir immerhin bis zur Hüfte. Ich hatte ihn mir ir-gendwie kleiner vorgestellt.
Auch sonst sah er nicht so aus wie ein typi-scher Filmzwerg. (Der mir am bekanntesten war da Gimli aus Der Herr der Ringe). Er war muskulös und größer und hatte rotes modisch kurzes Haar. Er erinnerte mich in seiner ganzen Erscheinung irgendwie an Ron Weasley aus Harry Potter. Nur dass Miron nicht so schlaksig war und älter und bestimmt auch kleiner als Ron. Immerhin war Ron ein Zaube-rer und kein Zwerg.
Als ich mit meiner Musterung fertig war, sah ich ihm in seine leuchtend grüne Augen, und sagte zuerst mal: „Danke, dass du gekommen bist.“
„Sag mir lieber, was du willst statt falsche Höflichkeiten auszutauschen“, brummte er. Seine Stimme wirkte so verführerisch und tief. Ich zuckte leicht zusammen, als ich sie zum ersten Mal hörte. Ich hatte allein wegen seiner Erscheinung Respekt vor ihm.
„Wieso kämpfst du gegen Cam? Nur wegen Tedren? Das ist es nicht wert. Tedren kämpft aus den falschen Gründen. Cam hat ihm nie etwas getan.“ Ich kam lieber gleich zur Sache. Miron schien kein Zwerg zu sein, der viel Ge-duld hatte. Und ich wollte es schnell hinter mich bringen.
„Darum geht es also?“ Miron seufzte. „Willst du mich auf eure Seite ziehen?“ Ich war geschockt, dass er mich so schnell durch-schaut hatte. Er schien ziemlich klug zu sein.
„Ich möchte vor allem wissen, wieso du dich auf Tedrens Seite stellst.“
„Es geht dich zwar nichts an, aber egal. Dann spiel ich dein Spiel eben mit. Es ist nicht nur wegen Tedren. Cam und mein Vater sind verfeindet“, erklärte er mir vollkommen ernst.
Ungläubig starrte ich ihn an. „Da hab ich aber was anderes gehört. Dein Vater und Cam haben auf ein und derselben Seite gekämpft. Gegen Ronar und Majenna. Hat dir dein Vater das nicht erzählt?“ Das konnte ich kaum glauben.
„Als ich klein war, redete mein Vater mit mir nicht viel über solche Dinge“, erklärte Miron mir. „Aber es geht auch nicht um diesen Krieg. Hat dir noch keiner erzählt, dass kurz vor der Pest die Sterne und die Zwerge gegeneinander gekämpft haben? Und was meinst du wohl, auf welcher Seite Cam gekämpft hat?“
„Das ist mir wirklich neu. Davon hab ich noch nie etwas gehört.“ Ich war ziemlich verwirrt. Wieso hatte Cam mir das nicht erzählt oder wenigstens seiner Tochter?
„Kann ich mir denken. Cam hat die ganze Sache ziemlich geheim gehalten. Soweit das ging. Aber die Sterne verschwanden dann ja auch und die Zwerge zogen sich zurück. Und sonst ist kaum noch Jemand da, der das damals erlebt hat.“
„Aber du bist noch da“, stellte ich das Of-fensichtliche noch mal klar.
„Ja“, stimmte er mir zu. „Und meine Schwester auch. Man hat uns bei Mathilda und Steffen abgeladen.“
„Oh!“ Das war mir ebenso neu. „Aber du bist doch der Zwergenkönig. Hat dann das Zwergenreich momentan keinen König?“
„Na ja, momentan ist ein Stellvertreter da. Aber ja, das ist schon ziemlich bitter gewesen. Die Zwerge hatten jedenfalls in diesem Kampf schlechte Karten, weil Cam sich auf die Seite der Sterne gestellt hat und somit auch fast alle Elfen, außer Steffen und Mathilda.“
„Aber Cam hat erzählt, dass er Mathilda immer unterstützt hat“, fiel mir dann wieder ein.
„Hat er auch sonst, aber in dieser einen Angelegenheit eben nicht. Cam und Mathilda haben sich deswegen ja auch nicht verkracht, aber mein Vater hat danach nie wieder mit ihm geredet. Er ist sehr eigen“, stellte Miron richtig.
„Aber Cam ist deswegen kein schlechter Elf. Er hat eben auf der Seite seiner langjähri-gen Freunde gekämpft. Das hättest du doch auch getan, oder? Das ist noch lange kein Grund ihn zu töten.“ Ich verstand nicht wieso er sich deswegen gegen Cameron stellte. Das war doch ein blöder Grund.
„Mag sein“, gab er mir Recht. „Aber da ist ja auch noch Tedren.“
„Miron, Tedren kämpft aus den falschen Gründen. Corentin und Lilien lieben sich. Cam ist nicht schuld daran, dass sie sich ineinander verliebten. Höchstens, dass es möglich war, dass sie zusammen sein konnten.“ Frustriert sah ich ihn an. Wie konnte er das unterstützen? Er wirkte doch wirklich ziemlich clever.
„Mir hat er erzählt, er hasse Cam, weil der sein Schwägerin Laja getötet hätte“, wandte Miron nun ein.
„Was? Aber Tiljan hat mir erzählt, dass Laja lebt. Tiljan meinte, dass er und Cam zu der Zeit gar nicht da waren.“ Ich konnte nicht glauben, was ich da hörte. Das konnte nicht sein.
„Wie kannst du dir so sicher sein bei dem was er tut und nicht tut?“, wollte Miron be-rechtigter Weise wissen.
Ich schwieg und kaute bedrückt auf meiner Unterlippe.
„Hör zu, ich hege keinen Groll gegen dich oder die Anderen. Nicht mal wirklich wegen Cam. Eigentlich bin ich nur hier, weil mein Schwager Thies mich darum gebeten hat Ted-ren zu unterstützen. Ich weiß auch nicht mehr, ob das alles stimmt, was Tedren mir da aufti-schen wollte. Aber eigentlich hab ich ihm nie wirklich getraut. Mein Schwager Thies dagegen vergöttert seinen Onkel und meine Schwester Corla liebt Thies über alles. Nur deswegen bin ich hier. Und vielleicht auch, weil ich Cam einen kleinen Dämpfer versetz-ten wollte. Aber jetzt sehe ich keinen Grund mehr dazu, völlig unnötig mein Volk zu ge-fährden. Ich mache dir also folgendes Angebot: Ich ziehe mich zurück und kämpfe gegen keinen von euch und für keinen von euch.“ Er sah mich aus ernsten grauen Augen an. Den-noch sah ich auch etwas Schalk darin. Miron war eine Person, die ernst sein konnte und dennoch merkte ich, dass er das Leben doch recht leicht nahm. Vermutlich musste er das auch um all seine Lasten tragen zu können.
„Das ist sehr großzügig von dir, Miron“, bedankte ich mich. „Ich kann gar nicht genug danken.“
„Brauchst du nicht. Ich mag dich irgend-wie. Dich und deinen flatternden Freund da hinten.“
„Oh!“ Ich drehte mich zu Leinar um, sah ihn aber nicht, und fragte mich, wie Miron das heraus bekommen hatte. „Tut mir leid, ich hab mich nicht an unsere Abmachung gehalten.“ Zerknirscht sah ich ihn an.
„Ach was“, winkte Miron lässig ab. „Du wärst leichtsinnig gewesen, allein zu kommen.“
„Danke für dein Verständnis.“ Ich war sehr erleichtert.
„Gern.“ Er lächelte und wirkte richtig sym-pathisch auf mich. „Dann zieh ich mal Leine.“
„Warte! Eigentlich hab ich noch ein paar Fragen an dich“, hielt ich ihn auf.
„Nicht hier und nicht jetzt. Wenn Tedren meine Abwesenheit bemerkt, sollten du und dein flatternder Freund außer Reichweite sein. Wenn du das hier überlebst, komm mich doch besuchen. Dann werde ich dir jede Frage be-antworten, die du hast“, bot er mir großzügig an.
„Gerne. Ich weiß nur nicht, wie ich dich finden kann“, gab ich zu Bedenken.
„Keine Sorge. Ich werde dich finden und dir eine Nachricht schicken“, versprach er mir mit einem Augenzwinkern.
„Vielen Dank, Miron.“ Oh Gott, wie oft hatte ich jetzt schon danke gesagt?
„Klar doch, aber jetzt sollte ich lieber ver-schwinden und ihr auch“, verabschiedete er sich nun. „Einen Tipp noch: Unterschätzt Tedren nicht. Felicitas ist keine große Gefahr für euch, aber Tedren ist viel mächtiger als ihr glaubt. Also viel Glück!“ Er winkte zum Ab-schied.
„Danke, dir auch.“ Ich winkte zurück.
Und dann verschwand Miron einfach so ins Nichts und Leinar und ich brachten uns schnell in Sicherheit. Ich glaube, ich hatte gerade einen neuen Freund gefunden. Ich mochte Miron. Sehr sogar.